Selbsterfahrung: Wenn der Körper dem Kopf den Mund verbietet.
In der Nähe eines schönen Marktes im 19. Wiener Gemeindebezirk, findet heute meine erste echte Lomi Lomi Nui Massage statt.
Sigrid erwartet mich mit einem breiten Lächeln und eingehüllt in einen dünnen Sarong. Wir kennen uns lange, wir kennen uns gut. Ich habe bereits eine Lomi-Session von ihr als Fotografin begleiten dürfen und bin bis heute in diese Erfahrung und die Fotos verliebt. Einen derartig intensiven Raum durch die Linse einzufangen ist ein unglaubliches Geschenk. Ich war Teil des Ganzen und gleichzeitig rein beobachtend. Ein Tanz aus Musik, Licht und Mensch-Sein.
Heute werde ich auf der Liege sein. Nackt. Sie kennt mich nackt und dennoch fühlt es sich heute anders an. Ein bisschen verletzlicher. Ist mein Körper nicht viel zu schwer für sie? Ist es eventuell unangenehm, zwischen meine Fettpölsterchen zu greifen? Sie hört vermutlich meine wirren Gedanken und gibt mir einen Kuss auf die Stirn: Dieser Raum gehört jetzt ganz dir. Alles ist richtig. Entspannung, Beruhigung in jeder Zelle.
Ob ich eine bestimmte Intention mit in die Session geben möchte? "Klarheit", höre ich mich sagen.
Und so beginnt es. Lomi Lomi ist wie eine Umarmung, die jede Zelle deines Körpers umfasst, wie ein Flüstern des Ozeans, das an den Ufern deines Seins hallt. Es ist eine hawaiianische Massagetechnik, die keine festgelegten Regeln kennt, sondern vielmehr im Einklang mit der Intuition des Gebenden und den Bedürfnissen des Empfangenden fließt. Im Kern geht es darum, absichtslos berührt zu werden – eine Kunst, die uns in unserem Kulturkreis oft fremd ist.
Ich spüre, wie immer mehr warmes Kokosöl meine Haut berührt. Mein gesamter Körper wird damit bedeckt. Sigrid beginnt zunächst an meinem Kopf, dann an meinen Füßen. Sie legt ihre Hände auf, ohne etwas zu kneten. Es wird eine Connection aufgebaut, von meinem Körper zu ihrem und umgekehrt. Sie werden die nächste Stunde zusammen arbeiten. Mein System gibt vor, was dran ist. Obwohl ich das weiß und ich mich direkt voll in diese Situation hinein entspannen könnte, versucht mein Hirn die oberhand zu behalten:
"Wir sind nicht gerne so ölig", "Das ist ganz schön warm", "Wieso passiert nichts"...
BLA f*cking BLA. Ich weiß, wieso es das tut. Es ist der selbe Grund, wieso es mich manchmal schon beim aufwachen belästigt, wieso es Abends manchmal keine Ruhe gibt und wieso ich sehr oft nicht einfach den gegenwärtigen Moment genießen kann:
Es versucht mich in die Vergangenheit oder Zukunft zu zerren. Weg von dem, was ich gerade erlebe. Weg von diesem Moment, der vollkommen liebevoll und schön ist. Denk doch lieber an deinen Kontostand, oder daran wieso du eigentlich keinen Partner hast.
Sigrid beginnt meinen Körper zu massieren, zu kneten, zu streicheln. Je mehr Berührung ich wahrnehme, desto stille wird der Kopf.
Denn meine menschlichen Zellen lieben es, berührt zu werden ohne Ziel. Ohne irgendetwas damit machen zu müssen. Meine Zellen zerfließen unter ihren Händen. Stück für Stück. Bis das Hirn verstanden hat, dass es gerade Sendepause hat. Die meisten von uns haben verlernt, was es bedeutet, absichtslos berührt zu werden. Wir leben in einer Welt, die von Effizienz und Zielorientierung getrieben ist. Jede Handlung, jede Berührung wird oft zu einem Mittel zum Zweck degradiert. Doch in der Lomi Lomi ist es anders. Hier geht es nicht darum, ein bestimmtes Ziel zu erreichen oder ein Problem zu beheben. Es geht darum, sich hinzugeben, präsent zu sein und einfach zu empfangen. Eine Berührung, die nicht fordert, sondern nur gibt.
Während die Massage den Körper lockert und entspannt, durchdringt die absichtslose Berührung die tieferen Schichten des Seins. Es ist eine Erinnerung daran, dass unsere Haut nicht nur ein schützendes Organ ist, sondern auch ein Tor zur Seele. Unsere Sinne sind nicht nur Werkzeuge, sondern Kanäle, durch die wir die Welt und uns selbst erleben. Ich verliere jegliches Zeitgefühl und drifte in diesen Raum zwischen den Dimensionen ab. Ein Gefühl wie kurz vor dem Einschlafen. Ich bin nicht mehr ganz hier, aber nehme meinen Körper noch sehr bewusst war. Dass ich nicht weiß, welche Berührung als Nächstes kommt, hilft mir dabei mich vollkommen auf den Jetzt-Moment einzulassen.
Wenn ein Körperteil festhalten will, erinnert Sigrid sanft, dass es nichts zu tun oder zu kontrollieren gibt. Ich halte dich, du bist sicher.
Es kommen die ersten Bilder. Flüchtig huschen sie vorbei. Ab und zu ein farbiger Lichtblitz im Dunkeln meiner geschlossenen Augen.
Habe ich deine Erlaubnis etwas in Heilung zu bringen?
Sigrid arbeitet sehr intuitiv und nutz ihre hellfühligen Sinne um zu erspüren, was mein Körpersystem gerade braucht. Sie spricht ein Thema an, was gerade gelöst und transformiert werden möchte. Das gehört an sich nicht zum Ritual dazu, aber das ist genau das, was ihren Raum so besonders macht. Sie lässt alle Erfahrung und Gaben mit einfliessen.
In jeder energetischen Arbeit ist es sehr wichtig, nicht übergriffig zu sein. Deswegen wird immer gefragt, bevor ein Eingriff statt findet.
Ich habe ein JA und sie öffnet zunächst das Fenster. Dann beginnt sie. Erst still und ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen schießen.
Sigrid beugt sich zu mir, hält meinen Kopf und flüstert mir sanft ins Ohr. Ich fühle mich gehalten wie ein kleines Kind und ihre Worte vibireren durch meinen gesamten Körper. Mit einem kräftigen, tonhaften Atemstoß, lasse ich all das los, was mir gerade nicht mehr dienlich ist.
Ein sofortiger Release ist im ganzen Raum spürbar. Wir beide lachen.
Das Ritual geht noch einige Minuten weiter, bis ich achtsam in mehrere dünne Tücher gewickelt werde. Wie in einem Kokon. Jetzt darf ich nachspüren, solange wie das eben braucht.
Wieder ganz ankommen in meinem Körper, auf dieser Liege, in diesem Raum in Wien.
Irgendwann öffne ich meine Augen und fühle mich einfach butterweich.
Sobald ich mich wieder kräftig genug fühle, setze ich mich auf und stapfe zu Sigrid ins andere Zimmer.
Ich habe die Möglichkeit mir das Öl abzuduschen und komme wahrhaftig neugeboren aus dem Bad und werde mit einem warmen Tee erwartet.
Sie will nicht wissen, was ich gespürt habe. Was ich gesehen oder gedacht habe. Die einzige Frage ist: Wie geht es dir?
Ich fühl mich flüssig.
Wir beide grinsen, ihr ist diese Aussage sicherlich nicht neu. Sie wird mir nicht mitteilen, was sie wahrgenommen hat. Außer ich frage ausdrücklich. So gut kenne ich sie mittlerweile, dass sie diese Neugier abgelegt hat. Denn tatsächlich ist das schon wieder das Hirn, was intevenieren und einordnen möchte. Das ist seine Aufgabe, aber das brauche ich grad nicht. Was ich brauche ist ein ruhiger Abend mit mir. Viel Selbstliebe und Integration. Danke. Danke. Danke.
Meine Erfahrung mit der Lomi Lomi zeigt mir wieder einmal, das echte Berührung eine Kunst ist, die wir wieder kultivieren dürfen. Auch ausserhalb dieser speziellen Räume. Wenn du das nächste mal jemanden Umarmst oder auch nur die Hand reichst, beobachte doch mal, wie sich das anfühlt. Fasst du an oder berührst du? Nimmst du die Haut des anderen Menschen war? Den Atem, die Wärme? Ich glaube, wir haben Körperkontakt auf schnöde sexuelle Begegnungen beschränkt, weil wir sonst ständig erfahren könnten, wie lebendig wir eigentlich sind.
So ganz wirklich und authentisch nämlich.
Das schöne:
Es gibt diese Erfahrungsräume, die als Referenz Erfahrung dienen.
Wenn du auch nur einmal so berührt wurdest, prägt sich das ein. Denn ein Erlebnis auf der Haut bleibt ein Leben lang bei dir.
Dann hast du eine Art Schablone und unwillkürlich wird auch deine Art der Berührung sich Ändern.
TRY IT!
PODCASTFOLGE:
bei Spotify, Apple und Co.
Mein Interview mit Sigrid über die Lomi, Sound Healing und das Leben. Du findest sie bei Instagram unter: @sigridspoerk
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